Fachtagung zum Integritäts- und Compliance Management – ein offener Diskurs
Am 24.10.2019 trafen zahlreiche Vertreter und Vertreterinnen aus der privaten Wirtschaft, der Bundesverwaltung sowie aus der Wissenschaft im Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat zur Fachtagung zum Integritäts- und Compliance Management, zusammen. Organisiert wurde die Fachtagung durch das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI) in Zusammenarbeit mit dem Viadrina Compliance Center (VCC) der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder) mit fachlicher Unterstützung durch das Deutsche Institut für Compliance e. V. (DICO). Die Tagung bestand aus vier thematischen Panels mit anschließenden Diskussionsrunden.

Begrüßung und Eröffnung
Die Tagung begann mit den Begrüßungsworten der Veranstalter. Staatssekretär im BMI, Klaus Vitt, betonte hierbei in erster Linie die Wichtigkeit der Integrität und ihrer Kommunikation in der öffentlichen Wahrnehmung im Gegenzug zu stets präsenteren Korruptionsfällen in der Medienlandschaft. Potenzial für mehr Transparenz zum einen, und die Interaktion mit der Bevölkerung zum anderen, läge hier vor allem in der Digitalisierung in der Verwaltung.
DICO wurde durch den Sprecher des Vorstandes Dr. Philip Matthey repräsentiert, der in der Tagung besonders die Chance des Austauschs zwischen der Privatwirtschaft und Verwaltung unterstrich.
„Wir sollten voneinander lernen!“
Als Vertreter des VCC begrüßte Prof. Dr. Bartosz Makowicz die Teilnehmer und leitete die Tagung mit einem Fachvortrag ein, in dem er das Potenzial von CMS in der Verwaltung betonte, da dieses das Bürgervertrauen in die Verwaltung fördern könne. Im Unterschied zur Privatwirtschaft beschränke sich Compliance in der Verwaltung bisher hauptsächlich auf die Korruptionsbekämpfung, wohingegen der holistische Ansatz von CMS weitreichender sei. Mit den Worten „Wir sollten voneinander lernen!“ beendete Prof. Dr. Bartosz Makowicz seinen Einführungsvortrag und leitete das erste Panel ein.
Panel 1: Integritätsmanagement als ganzheitlicher Ansatz?
Das erste Panel moderierte Prof. Dr. Hans-Michael Wolffgang, Direktor des Instituts für Zoll- und Außenwirtschaftsrecht an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.
Felicitas Neuhaus, Public Policy Expertin bei der OECD der Public Sector Integrity Division, begann das Panel mit einem Kurzvortrag zu der OECD Empfehlung des Rates zur Integrität im öffentlichen Leben. Diese sei bewusst weit gefasst worden, um einen systematischen horizontalen Ansatz vorzustellen und die komplexe Zielsetzung des öffentlichen Interesses abbilden zu können, die im Gegensatz zum Privatsektor nicht primär in der Profitmaximierung läge.
Daraufhin betonte Caroline Reese, Head of Compliance der Zalando SE, die Rolle der Integrität als elementaren Teil eines gesamten CMS aus Unternehmensperspektive. Um diese zu erreichen, sei es grundlegend Verantwortlichkeiten sowie Grundwerte zu definieren, Führungspositionen eine Vorbildfunktion zuzuschreiben und als Compliance-Abteilung im Tagesgeschäft als „Sparringpartner und Deeskalationspartner“ zu fungieren.
Stefan Sohm, Leiter der Unterabteilung R III „Governance“ in der Rechtsabteilung und Compliance Management Beauftragter des Bundesministeriums der Verteidigung, erläuterte daraufhin seine Erfahrung mit der Einführung eines CMS im Verteidigungsministerium in den Jahren 2015/2016. Effizienz- sowie Akzeptanzprobleme konnten demnach erst durch eine Restrukturierung, und damit Ausweitung der Compliance-Arbeit, überwunden werden. Diskussionswürdig sei hingegen, ob Verhaltenskodizes neben der Abgabe eines Diensteides im öffentlichen Bereich angemessen seien.
Abschließend betonte Dr. Hans Michael Wolffgang, dass der qualitative Unterschied eines Diensteides und die freiwillige Verpflichtung in der Privatwirtschaft bei dem Vergleich von Integritätsmanagement nicht verkannt werden dürfe.
Panel 2: Integrität strategisch kommunizieren – wie erreiche ich Kopf und Bauch?
Das zweite Panel moderierte Prof. Dr. Peter Fissenwert, Professor für Wirtschaftsrecht, Rechtsanwalt und Partner der Kanzlei Buse Heberer Fromm.
Inken Brand, Leiterin der Abteilung Corporate Compliance, Drägerwerk AG & Co. KGaA, erklärte, dass die strategische Kommunikation von Integrität sich sämtlicher Kommunikationskanäle im Unternehmen bedienen müsse. Erzeuge man Betroffenheit bei den Mitarbeitern, könne diese als Auslöser für integres Verhalten wirken. Darüber hinaus helfe es klare Regelungen und Wertegrenzen zu formulieren sowie Mitarbeitern die Möglichkeit zu geben, Konflikte in Form des Dialogs anzusprechen.
Daraufhin erläuterte Dr. Martin Eßer, Leiter der Stabsstelle Zentrale Compliance (ZC) bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), dass integres Verhalten in einer Behörde häufig am Grad der Sozialadäquanz gemessen werde. Folglich helfe es Risikobereiche sowie Lösungen zu formulieren, die Beamten als klare Leitlinien dienen. Die Teilnahme an Schulungen helfe Konfliktsituationen offen anzusprechen, durchzuspielen und auf diese Weise auch Dilemmata, denen sich Beamte stellen, nicht mehr Tabuthemen in der stark hierarchischen Behördenkultur sein zu lassen.
Iris Schmitz-Kleinhenz, Leiterin Compliance und Datenschutz der EnBW, bestätigte den Ansatz der offenen Kommunikation und das Aufzeigen von Lösungen zur Einhaltung von gesetzlichen Pflichten. Das Durchspielen von „Worst-Case-Szenarien“, welche sich in verschiedenen Fachbereichen ergeben können, helfe Herausforderungen zu verstehen, die mit der Arbeit eines jeweiligen Fachbereichs einhergehen. Integrität könne nur durch Glaubwürdigkeit kommuniziert werden, sodass Transparenz und die Formulierung eines klaren Wertekanons unabdingbar seien.
Panel 3: Spielerisch Lernen – Serious Games und weitere digitale Methoden
Das dritte Panel eröffnete Christoph Deeg, Berater und Speaker für die Bereiche Digitale Transformation, Gamification und Digital Risk, mit einem Vortrag zum Thema „Serious Games“. Diese sind angewandte Spiele und stellen eine Möglichkeit des praktischen Lernens da. Im Gegensatz zu anderen Medien, wie u. a. Büchern, seien Spiele eine Reinform des Lernens, da sie eigene Erfahrungsräume schaffen können. Compliance und CMS ließen sich in diesem Kontext als „Spieldesign“ zur Entwicklung eines Regelmodells betrachten. Grauzonen und erweiterte Optionsräume, die im Tagesgeschäft nicht explizit bestünden, können so in Zusammenarbeit mit den Mitarbeitern erarbeitet und verdeutlicht werden.
Anschließend erläuterte Dr. Martina Koger, Leiterin der Abteilung für Prävention, Edukation und Internationale Zusammenarbeit des Bundesamts für Korruptionsprävention und Korruptionsbekämpfung in Österreich, Spiele als Präventionsmaßnahme vor korruptem Verhalten durch die Sensibilisierung für Dilemma-Situationen. Die Wahl des Spiels reiche, je nach Zielgruppe, von einer App bis zum Brettspiel. Gleichzeitig lägen die Grenzen des Spiels in ihrem Zweck und würden den Diskurs über mögliche Konfliktsituationen nicht ersetzen können.
Daraufhin äußerte sich Prof. Dr. Tanja Rabl, Professorin für Betriebswirtschaftslehre und Inhaberin des Lehrstuhls für Personalmanagement, Führung und Organisation an der Technischen Universität Kaiserslautern. In der Forschung seien Serious Games eine Trainings-und Entwicklungsmaßnahme, die als Mittel zur Einsicht und Akzeptanz dienen können. Entscheidend sei, dass das spielerische Setting in der Lebensrealität, folglich die reale Dilemma-Situation, abgebildet werden könne. Der Lerneffekt liege im „Aha-Moment" eines Spiels und sei zudem abhängig von einer anschließenden Diskussion.
Die Moderatorin des Panels, Susanne Friedrich, Allianz für Integrität, schloss den Diskurs mit dem Fazit, dass das Spiel als ein Angebot von mehreren Maßnahmen zu betrachten sei, welche in einer Gesamtstrategie integriert werden können.
Panel 4: Hinweisgebersysteme und Hinweisgeberschutz – was haben wir, was brauchen wir?
Das vierte Panel moderierte Dr. Anna-Maija Mertens, Geschäftsführerin, Transparency International Deutschland e.V.
Kyrill Farbmann LL.M., European Compliance Director bei McDonald’s, begann mit einem Fallvortrag, in dem er die Bedeutung des Vertrauensverhältnisses zum Hinweisgeber und dessen Schutz besonders herausstellte. Gleichzeitig sei die Aufklärung über das Bestehen eines Hinweisgebersystems im Unternehmen entscheidend für dessen Inanspruchnahme.
Einen Einblick in die Praxis der Staatsanwaltschaft zu dem Umgang mit Hinweisgebern bot Hildegard Wolff, Oberstaatsanwältin, Leiterin der Zentralstelle für Korruptionsstrafsachen bei der Staatsanwaltschaft Braunschweig, die ebenfalls auf die Wichtigkeit des Vertrauensverhältnisses zu dem Hinweisgeber bei der Ermittlung verwies, sowie unterstrich, dass die Nachverfolgung auf Grundlage eines ausreichenden Anfangsverdachts von der Qualität des jeweiligen Hinweises abhänge. Dabei sei der Beschuldigtenstatus problematisch und eine Kronzeugenregelung zum Schutz des Hinweisgebers wünschenswert.
Anschließend erläuterte Dr. Daniel Bornhöfer, Referent im Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz, die EU-Richtlinie zum Schutz von Whistleblowern, die den Schutz vor Nachteilen eines Jeden beabsichtigt, der auf einen Rechtsverstoß hinwiese. Die Ratio der Richtlinie ist die Aufdeckung jedes Rechtsverstoßes, sodass der Schutz sich nicht ausschließlich auf anonyme Hinweisgeber beschränke.
Schlusswort
Das Schlusswort hielt Erwin Schwärzer, Leiter der Unterabteilung I – Digitale Gesellschaft und Informationstechnik – im Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, der das Compliance- und Integritätsmanagement in der öffentlichen Verwaltung als eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe sehe, und damit die Bedeutsamkeit des Austausches zwischen Wissenschaft, Privatwirtschaft und öffentlicher Verwaltung im Rahmen der Tagung unterstrich.