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BERICHT
I. Virtual Integrity Congress
“Neuarchitektur der Unternehmenssanktionierung in Deutschland”
Der I. Virtual Integrity Congress fand am 9. Juni 2020 als Online-Videokonferenz statt und wurde vom Viadrina Compliance Center in Zusammenarbeit mit der Compliance Academy Münster organisiert. Das Viadrina Compliance Center trägt damit der aktuellen Lage Rechnung, in der die Ausrichtung von Präsenzveranstaltungen stark eingeschränkt ist. So musste etwa der jährliche inzwischen 8. Viadrina Compliance Congress auf einen späteren Zeitpunkt verlegt werden. Den Mehrwert der virtuellen Tagung machte seine Vielfalt aus: So waren an insgesamt drei Panels Referentinnen und Referenten aus Wirtschaft, Wissenschaft, Justiz, Behörden und Beratung sowie der zivilen Gesellschaft beteiligt. Insgesamt 17 Diskutanten behandelten die Neuarchitektur der Unternehmenssanktionierung, die mit dem kurz nach der Tagung am 16.6.2020 beschlossenen Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft vorgelegt wurde.
Thematische Einführung: Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft
Die thematische Einführung von Dr. Matthias Korte gewährte einen Einblick in die aktuellsten Entwicklungen des zum Zeitpunkt der Tagung als Referentenentwurf vorliegenden Gesetzes zur Sanktionierung von Verbänden (VerSanG-E). Als Ministerialdirigent und Leiter der Unterabteilung RB des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz stellte er den Stand des Verfahrens dar und ging auf die Unterschiede ein, die sich im Vergleich zu dem im August 2019 inoffiziell bekannt gewordenen Entwurf ergeben. An die Stellungnahmefrist, die am 12. Juni 2020 endete, wird sich zunächst die Beratung des Bundeskabinetts über den Entwurf anschließen, gefolgt von den Anhörungen des Bundesrats und Bundestags. Mit einer Verkündung ist nach dem 2. Durchgang des Bundesrats voraussichtlich Angang 2021 zu rechnen, mit der die zweijährige Frist vor Inkrafttreten beginnen soll. Zu den wesentlichen Änderungen gegenüber dem Vor-Entwurf gehören die Streichung des „Todesurteils“ für Unternehmen, nämlich der Verbandsauflösung, ebenso wie der Anwendungsbereich auf Verbände mit Ausrichtung auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb und die Voraussetzungen für eine Strafmilderung bei internen Untersuchungen.
Keynote: Einige Überlegungen zum VerSanG-E
Dr. Rolf Raum, Vorsitzender Richter im 1. Strafsenat am Bundesgerichtshof, erläuterte in seiner anschließenden Keynote, welche Überlegungen aus seiner Sicht der Judikative zum VerSanG-E angeführt werden sollen. Vor allen Dingen unterstrich er dabei, dass der Gesetzesentwurf zu technisch formuliert und der Umfang selbst kritisch einzuschätzen sei. Letzteres sei dahingehend problematisch, da nicht nur das Sanktionsausmaß seiner Meinung nach zu hoch ausfiele, sondern auch die Auswahl der Sanktionsinstrumente zu breit ausgelegt sei. Zusätzlich dazu thematisierte er das oft mit dem neuen Gesetzesentwurf diskutierte Zeugnisverweigerungsrecht. Dieses stelle insbesondere im Zusammenhang mit Rechtsanwälten, Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern eine besondere Herausforderung dar.
Perspektive 1: “Behörden & Justiz”
Den Einführungsvorträgen schlossen sich drei Diskussionspanels an, bei denen der Entwurf aus diversen Perspektiven der potenziellen künftigen Gesetzesanwender und –adressaten beleuchtet wurde. Im ersten Panel diskutierten demnach Vertreter von Behörden und Justiz. Dr. Harald Potinecke (Partner, CMS Hasche Sigle - Partnerschaft von Rechtsanwälten und Steuerberatern mbB), der das erste Panel moderierte, stellte die Referenten vor und skizzierte die Lage aus Sicht von Behörden und Justiz. Anschließend übergab er das Wort an Prof. Dr. Konrad Ost (Vizepräsident Bundeskartellamt), der das VerSanG-E ins Verhältnis zu Erfahrungen aus dem Kartellrecht setzte und mit der GwG-Novelle verglich. Zusammenfassend seien durch die Brille des Bundeskartellamts zusätzliche Gesetze weniger zielführend, insbesondere das VerSanG-E mit seinem sanktionsmildernden Ansatz, als die Durchsetzung im Rahmen des Kartellrechts. Anschließend ließ Dr. Julia von Buttlar, LL.M. (Regierungsdirektorin Ordnungswidrigkeitenverfahren, Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin)) in der Debatte ihre Praxiserfahrungen aus der BaFin einfließen. Sie wies darauf hin, welche enorme Rolle die Kooperation bereits heute spielt und wie wichtig diese bei der Durchsetzung von Sanktionen sei, unterstrich aber gleichzeitig, dass letztere nicht zwangsläufig zur Verhaltensänderung führen müssen. Aus der Perspektive der Staatsanwaltschaft legte Alexander Badle (Oberstaatsanwalt, Leiter der Zentralstelle für Medizinwirtschaftsstrafrecht, Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main) kritische Punkte zur Beschlagnahmefreiheit bei internal investigations dar, deren Ergebnisse in Verfahren verfügbar gemacht werden sollen und begrüßte gleichzeitig unternehmerische Compliance-Anstrengungen seitens von Unternehmen. Nach seiner Keynote sprach sich Dr. Rolf Raum auch im Panel für die Erhöhung des Verfolgungsdrucks aus, monierte aber, dass das VerSanG-E selbst overengineered sei und mit der GwG-Novelle synchronisiert werden solle. Schließlich ergänzte Dr. Matthias Korte das erste Panel um Aussagen zum Spannungsverhältnis der GwG-Novelle und dem VerSanG-E als auch zu Kartelltaten, die zu sog. Leitungstaten gehören und nur auf diese Anwendung finden, nicht aber auf andere Straftaten wie z. B. Korruptionstaten.
Perspektive 2: „Wissenschaft“
Das zweite Panel wurde von Prof. Dr. Bartosz Makowicz (Viadrina Compliance Center, Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder)) geleitet und hatte zum Ziel das VerSanG-E aus wissenschaftlicher Perspektive zu beleuchten. Prof. Dr. Alexander Baur (Juniorprofessur für Strafrecht, Fakultät für Rechtswissenschaft, Universität Hamburg) startete als Referent mit Ausführungen zur Reformbedürftigkeit und der Grundausrichtung sowie dem kritisch einzustufenden Zwischenraum des Ordnungswidrigkeiten- und Strafrechts. Darüber hinaus sei ihm zufolge das Zusammenspiel von Prävention und Repression für den Gesetzgeber maßgeblich. Gleich danach folgte Prof. Dr. Andreas Engert, LL.M. (Professur für Bürgerliches Recht, Handels- und Gesellschaftsrecht, Kapitalmarktrecht und Grundlagen des Rechts, Freie Universität Berlin), der die Compliance-Organisation weiterhin als Kernaufgabe von Unternehmen sehe. Gleichzeitig hob er hervor, dass es problematisch sei, dass messbare Charakteristika von wirksamen CMS und notwendige Mindestanforderungen dazu fehlen würden. Prof. Dr. Lena Rudkowski (Professur für Bürgerliches Recht und Arbeitsrecht, Justus-Liebig-Universität Gießen) legte als dritte Referentin den Fokus ihrer Ausführungen auf arbeitsrechtliche Fragestellungen. Dabei thematisierte sie das Auskunftsverweigerungsrecht, das dem Weisungsrecht des Arbeitgebers nachsteht und wies darauf hin, dass das VerSanG-E kein Einfallstor für arbeitsrechtliche Regelungen werden dürfe. Prof. Dr. Stephan Grüninger (Forschungsdirektor, Konstanz Institut für Corporate Governance) konzentrierte sich mit seinen Statements auf seine Erfahrungen zum „Selbsterzwingungsmechanismus“, wonach für gelebte Integrität nach gutem Reden auch gutes Handeln folgen müsse. Durch geeignete Maßnahmen solle so sichergestellt werden, dass das Ziel und der Zweck erreicht wird, nämlich die die Prävention von Regelbrüchen.
Perspektive 3: “Wirtschaft”
Das letzte Panel des Kongresses wurde von Bernd Michael Lindner (Partner, Risk Advisory, Deloitte GmbH) moderiert. Nach der Vorstellung der Referenten führte er in die Diskussionsthemen ein, zu denen neben den „Leitplanken“ des VerSanG-E insbesondere das Sanktionsinstrumentarium und unterschiedliche Annäherungen an Compliance-Ziele gehörten. Dr. Christoph Klahold (DICO und General Counsel und Group Chief Compliance Officer, MunichRe) sprach als erster Referent aus der Perspektive der Wirtschaft und betonte den Bedarf nach Compliance-Förderung und der Verbesserung von Kooperationsmöglichkeiten. Ausgangspunkt dafür solle eine Wesentlichkeitsanalyse sein, mit dem Ziel der Haftungsvermeidung mithilfe ernsthaft betriebener präventiver Compliance. Als zweite Panelteilnehmerin präsentierte Dr. Daniela Kelm LL.M. (Geschäftsführendes Vorstandsmitglied, Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e.V. (IDW)) die Skalierbarkeit des IDW PS 980, wodurch der Prüfungsstandard auf verschiedene Unternehmensgrößen angewendet werden könne. Zusätzlich sprach sie sich für positive Anreize statt Sanktionierung im Zusammenhang mit dem VerSanG-E aus und forderte eine kontroverse Diskussion zur gesetzlichen Regelung der Regressmöglichkeit bei Organmitgliedern. Martin Stadelmaier (BUJ und Leiter Recht und Compliance, Flughafen Stuttgart GmbH) setzte sich in seinen Erläuterungen für „Leitplanken“ eines wirksamen CMS ein und wies darauf hin, wie wichtig eine gelebte Compliance-Kultur sei, die nicht nur aus dem Abarbeiten von Checklisten besteht. Schließlich verglich Dr. Martin Petrasch (Senior Legal Counsel, Siemens AG) als letzter Referent die geltenden Regelungen des § 130 OWiG mit der geplanten Neuordnung des VerSanG-E unter den Gesichtspunkten der bestimmbaren Umsetzung, die solider und verlässlicher werden solle. Sowohl die präventive als auch die repressive Ausrichtung sollen dabei eine gewichtige Rolle spielen. Ebenso, wie internal investigation, die zur Effektivierung der Strafverfolgung bei gleichzeitiger Wahrung der Beschuldigtenrechte beitragen sollen.
Fazit
Der erste Virtual Integrity Congress feierte als Online-Videokonferenz mit einem Zulauf von über 100 Teilnehmern einen gelungenen Einstand und konnte durch die vorherrschenden Abstandsbeschränkungen so eine adäquate Plattform für den Austausch von Behörden & Justiz, Wissenschaft und Wirtschaft zum VerSanG-E bieten. Viele kontroverse Details, wie etwa der weiterhin fehlende Begriff von „Compliance“ im Wortlaut des Gesetzesentwurfs, die Sanktionszumessung im Verhältnis zum Kartellrecht oder aber die prominente Positionierung von internen Untersuchung bei gleichzeitigem Versäumnis, weitere integrale CMS-Elemente zu regulieren, sorgten auf allen Seiten für rege Diskussionen. Daher bleibt abzuwarten, was sich bis Anfang 2021 an dem Entwurf noch ändern wird. Denn bereits dann soll das finale Gesetz verabschiedet werden und nach einer zweijährigen Übergangsfrist Inkrafttreten. Inzwischen wurde jedenfalls am 16.06.2020 durch die Bundesregierung bekannt, nur wenige Tage nach Ablauf des Konsultationsverfahrens am 12.06.2020, dass der Entwurf lediglich geringfügige redaktionelle Änderungen erfahren hat und in der Form als Regierungsentwurf in den Bundestag eingebracht wird.
Wir laden Sie herzlich ein, den Entwurf und seine konkreten Bestimmungen über die kostenlose Online-Plattform des Viadrina Compliance Centers zu kommentieren: www.compliance-academia.de/sanktionen
Ein Bericht von:
Alexander Matuk, LL.M., Viadrina Compliance Center